ADVENT 2018

KANN MAN GLAUBEN LERNEN?

Gestern hat sie wieder begonnen (wirklich erst gestern!?), die Adventszeit, die „schönste Zeit im Jahr“. Aber ursprünglich war auch diese Zeit eine Zeit der Stille, eine Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten, der Geburt Jesu Christi im armen Stall von Bethlehem, eine Zeit, seinem eigenen Glauben wieder nachzuspüren, ihn wieder neu zum Glänzen zu bringen.

Eine alte Geschichte erzählt von einem Mann, der sich eines Nachts in einem Wald verirrt hatte und plötzlich auf eine blinde, alte Frau traf. „Den Weg“, so sprach sie, „den kennst du nicht? Ich kenne ihn gut, so folge mir!“ Der Mann war verwirrt: „Nur zu, aber es scheint sonderbar, wenn mir jemand vorangeht, der gar nicht sieht.“ Die Blinde ergriff seine Hand und sagte leise: „So komm!“ – Diese alte Frau war der Glaube.

Man kann den Glauben gut mit dieser alten Frau vergleichen. Er ist ein guter Führer, wie eine liebe, weise Alte, die uns sagt: „Setz deinen Fuß hierhin, nimm diesen Weg, der dich hinaufführt.“

Aber das geschieht erst in einem zweiten Moment, wenn der Glaube bereits zur Überzeugung geworden ist, wenn er Wurzeln im Denken geschlagen hat und von dort aus das Handeln des einzelnen steuert und lenkt. Doch zunächst muss sich diese Überzeugung überhaupt erst einmal bilden und sich im Menschen festsetzen. Und genau darin liegt oftmals die Schwierigkeit. Denn da enthüllt sich der Weg des Glaubens nicht als ein romantischer Waldspaziergang, sondern als eine manchmal recht schwierige, bisweilen dramatische und immer geheimnisvolle Reise.

Es ist schon schwer genug, anderen Menschen zu glauben und ihre Überzeugungen anzunehmen. Wie schwer ist es dann mit dem Glauben. Der Schüler hört zum Beispiel von seinem Lehrer, dass die Erde 148 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist. Er möchte dies überprüfen, aber wie soll er das anstellen? Mutig setzt er einen Akt des Vertrauens: Der Lehrer ist ehrlich und kennt sich aus, also vertraue ich ihm. Ähnlich ist es mit dem Glauben an Gott: Er ist wie ein kindliches JA, das wir zu Gott sagen, nachdem er uns etwas von seinem inneren Leben erzählt hat. Ein JA zu dem, was Gott sagt, und zugleich ein JA zu dem, der es sagt. Wer dieses JA ausspricht, muss sich auch eingestehen: Ich bin nicht derjenige, der alles weiß, der bei allem das letzte Wort hat, der alles nachprüfen kann.

Ob ich zum Glauben finde, das ist nicht immer meine eigene Entscheidung. In das geheimnisvolle Glaubensdrama des Menschen fügt sich ein entscheidendes Element ein: das Eingreifen Gottes. Ein römischer Dichter des vergangenen Jahrhunderts hat den ‚nach Glauben Suchenden‘ mit dem Bild eines Schlafenden verglichen, zu dem Gott sagt: „Steh auf!“. Nach diesem Eingreifen Gottes jedoch ändert dieser seine Taktik, er wirkt ‚mit uns‘, wir können seine freien Mitarbeiter werden. Gott hat den Schlafenden aufgeweckt; ob dieser dann aber aus dem Bett aufsteht, das ist seine Sache. Die Hilfestellungen Gottes sind wirklich mächtig, aber er will sie nicht mit Macht aufzwingen. Es ist eine ‚heilige Gewalt‘, die dazu führt, dass wir uns in die Wahrheit verlieben, aber sie raubt uns nicht die Freiheit. Es kann durchaus vorkommen, dass jemand, der geweckt wird, sich auf die andere Seite dreht und sagt: „Lass mich doch weiterschlafen!“

Gewiss kann man den Glauben nicht lernen, sondern man muss ihn einüben, jeden Tag aufs Neue, ihn als Einladung betrachten. Eine solche Einladung kann die Adventszeit sein, die Zeit der Stille, die Zeit den Glauben mit einem anderen Licht zu suchen und zu finden.

P . Jörg Widmann SDB

 

ADVENT 2014

 

Wach sein!
Predigt zum Ersten Adventssonntag B (Mk 13, 33-37)
Pfarrer Dr. Johannes Holdt, Schömberg

In den wenigen Sätzen des heutigen Evangeliums kommt ein Wort viermal vor: wach.Bleibt wach!“, sagt der Herr und: „seid wachsam!“ So heißt es dreimal und dann dasselbe nochmals mit anderen Worten:„Lasst euch nicht schlafend antreffen!“(Mk 13,33.34.35.36.37).
Das scheint dem Herrn also sehr wichtig zu sein.  Seine Jünger sollen wach sein, hellwach und ja nicht verschlafen. Ganz Auge und ganz Ohr, aufmerksam für das, was geschieht in der Welt und in ihrem Leben und ihrem Verantwortungsbereich. (Er,der Herr - übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe“/ Mk 13, 34).

Christen müssen sozusagen das Gegenteil sein von den  berühmten Drei Affen:

Nichts hören - nichts sehen - nichts sagen.

Sicher. Das ist das Bequemste. Da kommt man in nichts rein. Aber mit dem Glauben ist diese Haltung nicht vereinbar. Wir sind in diese Welt und in diese Zeit und in unser Leben hineingestellt, um zu sehen und zu hören, was passiert – im Großen und im Kleinen – darüber nachzudenken, uns ein Urteil im Licht des Glaubens zu bilden, die Zeichen der Zeit zu deuten, die positiven und die negativen und dann –wenn es angezeigt ist – den Mund aufzumachen.
Das erwartet Gott von uns, das ist die Verantwortung, die wir als seine Diener und seine Zeugen vor den Menschen haben.
Nehmen wir zum Beispiel das Thema Lebensschutz. Papst Benedikt hat den Samstag vor dem ersten Advent zum jährlichen Gebetstag für die ungeborenen Kinder erklärt. Es ist doch eine Tragödie, was hier passiert, dass Jahr um Jahr ein Fünftel bis ein Viertel eines Jahrgangs in Deutschland (120.000 Kinder) nicht das Licht der Welt erblicken dürfen. Damit kann man sich doch nicht abfinden. Da liegt doch kein Segen darauf, am wenigsten für die betroffenen Frauen und ihre Familien, aber auch für das ganze Volk nicht. „Ein Volk, das seinen Nachwuchs tötet, hat keine Zukunft“, pflegte Papst Johannes Paul II. zu sagen.
Und schlimm ist, wie das totgeschwiegen wird von der Politik, von allen Parteien.
Hier beim Totschweigen nicht mitmachen, sondern wiederum hellwach sein, präsent sein, Stellung beziehen, darauf kommt es an!  Und wo immer wir es mit einem Fall persönlich zu tun bekommen, wo ein unerwünschtes Kind unterwegs ist: Zum Ja zum Leben ermutigen und Hilfe anbieten, sich einsetzen und nicht raushalten!

Liebe Gläubige, die meisten Leute meinen, was im Leben passiert, sei Zufall, und es käme bloß darauf an, sich möglichst elegant und unbehelligt durchzulavieren.
Nein, alles , was passiert und was mir begegnet, hat eine Bedeutung und ist auch immer eine Anfrage an mich. – Welche Antwort gebe ich?
Das Evangelium sagt mir: Schau alles, was passiert, – auch und vor allem das Schwierige – im Licht des Glaubens an und sage und tu dann das Richtige. Das ist es, was der Herr von einem guten und treuen Jünger erwartet.
Also: aufmerksam sein, wachsam sein. Was geschieht, was mir passiert und begegnet, auch wer mir begegnet, das ist nicht blinder Zufall, sondern die Sprache Gottes in meinem Leben.

Noch ein letzter Gedanke. Auch bei dem, was wir jetzt tun, heißt es wach und aufmerksam sein. Denn auch und gerade hier in der Feier der Eucharistie passiert nicht irgendetwas, sondern gerade hier will Gott mich, sein Kind, seinen Diener, erreichen und ansprechen. Die Messe ist das große Geheimnis unseres Glaubens, der neue und ewige Bund mit Gott in Jesu Blut
Alles, was hier geschieht, hat Bedeutung, und kann auch Gottes ganz persönliches Wort für mich sein, in meine Situation, auch in meine Not hinein. Ein Wort des Evangeliums (vielleicht auch einmal aus einer Predigt… ), ein Gebet der Liturgie, eine Liedzeile, nicht zuletzt die heilige Kommunion, in der Christus mir seine Liebe schenkt. Deshalb: Wach sein, präsent sein, die Antennen weit ausfahren. Und jedes fruchtbare Samenkorn einzufangen versuchen.
Nehmen wir uns das vor für die Wochen des Advents. Sinnvoll ist der Advent dann, wenn ich ihn mit der Kirche, mit der Liturgie der Kirche wachen Herzens begehe. Die Adventsonntage  oder die so stimmungsvollen Roratemessen. In der Dunkelheit des frühen Morgens oder des Abends, wenn alles noch schläft oder schon Feierabend macht. Dann sind wir da mit unseren Kerzen, die im Finstern scheinen. Und wir warten auf den Herrn. Wir beten und singen. Er soll uns nicht schlafend finden, wenn er kommt.

 Amen

"Die Schläfrigkeit der Jünger bleibt die Jahrhunderte hindurch die Chance für die Macht des Bösen. Diese Schläfrigkeit ist eine Abstumpfung der Seele, die sich nicht aufregen lässt durch die Macht des Bösen in der Welt, durch all das Unrecht und das Leid, das die Erde verwüstet. Sie ist eine Stumpfheit, die all dies lieber nicht wahrnehmen möchte; die sich beruhigt, dass alles schon nicht so schlimm sei, um in der Selbstzufriedenheit des eigenen gesättigten Daseins fortfahren zu können. Aber diese Stumpfheit der Seelen, dieser Mangel an Wachsamkeit sowohl für die Nähe Gottes wie für die drohende Gefahr des Übels, gibt dem Bösen Macht in der Welt"

(Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, Freiburg 2011, 173 f.)